Ein Beitrag von Leila Braun, Selma Knecht, Jannis Zbinden und Rahel J. Egger
Wir tun unser Bestes, unsere Recherchen verdaulich für dich aufzubereiten, um dich unterwegs nicht abzuhängen. Trotzdem möchten wir unsere Gesprächspartner:innen ausreden lassen, um dem polarisierenden Thema so gut es geht gerecht zu werden. Egal wie weit du es mit Scrollen schaffst – merci, dass du dir die Zeit für unsere 360°-Perspektive nimmst!
Zugenommen hat also nur die Anzahl unbewilligter Demonstrationen.
Soweit die Zahlen, aber was sagen die Menschen?
Im Rahmen dieses Beitrags haben wir mit verschiedenen Aktivist:innen im linken Spektrum gesprochen. Ihre Namen wurden zu Anonymitäts-Zwecken geändert.
24 Jahre
27 Jahre
25 Jahre
30 Jahre
Präsidentin VSPB
Der Verband Schweizerischer Polizei Beamter setzt sich für die beruflichen Interessen der Polizist:innen ein.
Stellvertretender Chef Regionalpolizei Bern
... ist seit 42 Jahren bei der Polizei
Einsatzleiter Dialogteam Bern (bis Sept. 2023)
Das Dialogteam Bern gibt es seit 2011. Es sucht den Dialog vor Ort mit den Verantwortlichen von Demonstrationen und Kundgebungen.
Die Spannung an Demonstrationen sei generell ein Spiegel der Anspannung der Bevölkerung. Sie lasse sich im Moment vor allem auf die aktuellen Konflikte im Nahen Osten und der Ukraine zurückführen.Trotzdem stellt der stellvertretende Chef der Regionalpolizei Dieter Schärer eine Verhärtung der Fronten fest und meint, die Angriffe gegen Polizist:innen hätten allgemein zugenommen.
Die Einschätzungen fallen unterschiedlich aus. Eigentlich hätten wir uns ja denken können, dass es auf komplexe Zusammenhänge kaum je Schwarz-Weiss-Antworten gibt.
Dass die Spannungslage schwankt, je nachdem, was die Gesellschaft gerade beschäftigt, wird hingegen von allen angesprochen. Menschen tragen ihre politischen Anliegen auf die Strasse und fordern Veränderung. Demonstrationen können sozusagen als eine Art Konzentration sozialer Prozesse im Reagenzglas betrachtet werden.
Um mit unserer Frage dem 360°- Ansatz gerecht zu werden, müssen wir die Lage im grösseren Kontext betrachten. Gemeinsam mit Herr Prof. Dr. Christian Koller, Protestforscher und Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs, werfen wir einen Blick in die Geschichte des Demonstrierens in der Schweiz.
Historiker, Protestforscher, Direktor Schweizerisches Sozialarchiv
Der Konflikt zwischen den Institutionen und ihren Kritiker:innen scheint Tradition.
Man provoziert, schaukelt sich gegenseitig auf. Wirklich herzlich war diese Beziehung also noch nie.
Wir haben uns gefragt, welche Gefühle und Gedanken Linksaktivist:innen heute mit der Polizei in Verbindung bringen.
Es scheint nachvollziehbar, dass die Polizei als ausführendes Organ des Staates von systemkritischen Menschen nicht zwingend positiv wahrgenommen wird. Aber trennen sie die Privatperson von der Institution?
Das sind klare Statements.
Aber was lösen diese harten Aussagen bei Polizist:innen aus?
Damit die Menschen unter den Uniformen in diesem Beitrag nicht nur im offiziellen Ton zu Wort kommen, haben wir mit zwei Polizist:innen im privaten Rahmen gesprochen. Auch sie bleiben anonym.
36 Jahre
…ist seit 16 Jahren Polizistin. Für lange Zeit war sie neben ihrem Beruf in der linken Szene aktiv und ist mit diversen Bands an Veranstaltungen aufgetreten. Bis irgendwann zunehmend mehr Stimmen laut wurden, die Mühe hatten mit der Anwesenheit einer Polizistin. In einem Artikel eines links-politischen Online-Magazins wurden ihre Adressdaten veröffentlicht und aktiv dazu aufgerufen, ihr die eigene Meinung mitzuteilen. Daraufhin wurden immer mehr ihrer Konzerte abgesagt und sie erhielt anonyme Drohungen.
25 Jahre
...Nino ist Polizei-Aspirant. Er hat vor kurzem die Polizeischule in Hitzkirch abgeschlossen. Die wichtigste Eigenschaft eines Polizisten ist für ihn der Wille zu helfen, wenn jemand in Not ist.
Manche Befehle lösen einen inneren Konflikt bei Katarina aus. Wieso hält sie dann trotzdem an ihrem Beruf fest?
An dieser Stelle betont sie, dass ihre Hauptaufgabe als Polizistin vor allem in der Betreuung und Vermittlung von Konflikten liegt. Katarina und Nino haben Mühe mit dem Bild der Person im Dienst, die nur auf Gewalt und Kontrolle aus ist.
Das Vertrauen der Bevölkerung in Polizist:innen wurde seit 2013 immer grösser. Am geringsten ist es bei jungen Menschen (16 - 24 J.). 2020 wird der Polizei von allen Institutionen noch am meisten Vertrauen geschenkt.
Johanna Bundi Ryser vom VSPB sieht darin eine Bestätigung der Qualität der Polizeiausbildung und Rekrutierung. Man lege Wert auf Weiterbildungen und hohe Sozialkompetenzen.
«Ich sage immer ganz nach dem Motto: Die Polizei, dein:e Freund:in und Helfer:in oder auch gemeinsam für Ruhe und Ordnung zum Wohl aller. Für mich hat das nach wie vor Gültigkeit.»
Sie vermutet, dass Polizist:innen vor allem in urbanen Gebieten Abneigung oder Gewaltbereitschaft begegnen. In Städten käme es öfter als auf dem Land zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch Demonstrationen und Kundgebungen würden vor allem in den Städten stattfinden.
Die Gründe seien facettenreich. Die Polizei setze die Gesetze des Staates durch und sei somit an vorderster Front. Die Abneigung komme von Personen, die mit polizeilichen Massnahmen oder Wegweisungen nicht zufrieden seien. Personen würden ihre Meinung äussern wollen und das vielleicht auf eine gewalttätige Art, durch Krawall oder Sachbeschädigungen. Ausserdem gäbe es oft Mitläufer, die sich gar nicht für das politische Anliegen von Demonstration interessieren, sondern diese lediglich als Möglichkeit nutzen würden, um Radau zu machen.
Seit der Pandemie beobachte man eine stärkere Nutzung der sozialen Medien. Personen mit einer Anti-Polizei-Haltung würden eine grössere Reichweite unter Gleichgesinnten erzielen. Der VSPB stelle fest, dass Fake News sich intensiver und schneller verbreiten würden.
André Weber vom Dialog Team Bern glaubt ebenfalls, dass eine Mehrheit der Bevölkerung froh sei, über die Arbeit der Polizei. Es gäbe immer einen kleinen Teil, der kein Fan der Polizei werde. Sei es aufgrund eines Erlebnisses, einer Begegnung oder aufgrund der Erzählungen anderer. Auch er erzählt von Mitläufern.
«Ich glaube, es gibt sehr viele Mitläufer:innen, die noch nie mit der Polizei in Kontakt kamen und trotzdem sind wir irgendwie ein Feindbild für sie. Das finde ich extrem schade.»
Persönlich findet er es schade, wenn Leute an Demonstrationen für etwas einstehen wollen, aber das eigentliche Thema von Sachbeschädigungen und Ausschreitungen überschattet wird.
Der stellvertretende Chef der Regionalpolizei Dieter Schärer spürt die Auswirkungen gesetzlicher und politischer Änderungen. Er könne eine eventuelle Ablehnung verstehen, da die Polizei den Staat verkörpere. Dabei betont er:
Um uns nicht nur vom Schreibtisch aus mit der Welt zu befassen, haben wir uns unter die Menge der Demonstration in Basel vom 21.Oktober 2023 gemischt. Dabei sind die Bilder und O-Töne des Einstiegs entstanden.
Auch als unbeteiligte Journalist:innen sind wir ganz schön ins Schwitzen gekommen. Die Polizei war vorbereitet. Blockaden in der ganzen Stadt stellten ein grosses Hindernis dar. Den einzigen Zugang zum Geschehen bot eine kleine Fähre über den Rhein. Endlich angekommen, war das Chaos schon voll im Gange. Um uns herum lautstarke Parolen, gezündete Pyros und vermummte Gesichter. Polizist:innen mit Helmen und Sicherheitswesten, Wasserwerfern, Gummischrot und Tränengas. Es wurde gerannt, gekesselt und geschossen. Stehenbleiben in der Masse? Keine Chance!
Von aussen war nicht erkennbar, dass wir Presseleute sind. So blieb uns nichts anderes übrig, als mit dem Rest vor den Einsatzkräften wegzurennen. Es fällt schwer, inmitten all der Hektik nicht in Panik zu geraten. Wenn wir ganz ehrlich sind, hatten auch wir zeitweise Angst vor den Polizist:innen und auch vor den Demonstrant:innen. Doch das aktive Suchen des Dialogs mit Demonstrierenden und Polizist:innen veränderte die Haltung uns gegenüber auf beiden Seiten. Mit der Erklärung, dass wir versuchen, die Menschen innerhalb der Massen zu verstehen, wurden wir auf einmal sehr freundlich behandelt. Fehlt also vielleicht genau das in solchen Konfliktsituationen? Sich für die Menschen und ihre individuellen Perspektiven zu interessieren, losgelöst von ihrer Rolle oder dem Bild der Gruppe?
Für Lea und Moritz sind es Erlebnisse wie diese, die ihre Haltung zur Polizei nachhaltig geprägt haben.
Die Polizistin Katarina hat Verständnis, dass die geschilderten Erfahrungen einschneiden und tief gehen. Trotzdem fällt es ihr schwer, sich vorzustellen, dass Polizist:innen grundlos so repressive Massnahmen ergreifen würden. Schlussendlich bestehe ihre Aufgabe bei einer Demonstration ja darin, neben Gebäuden und Infrastruktur auch die Menschen vor Schäden zu schützen. Die Entscheidung zum Eingriff werde nicht leichtfertig getroffen. Sie glaubt ebenfalls, dass es häufig nur eine kleine Gruppe von Demonstrant:innen sei, deren Auftreten den Entscheid zur Auflösung provoziere.
Moritz erwähnt den “Schwarzen Block”. Der Begriff fällt immer wieder, auch in den Medien. Meist wird er dabei mit Radikalität in Verbindung gebracht.
Simon Teune, Soziologe und Protestforscher, erklärt gegenüber der Zeitung «Der Bund»
Zu unserer 360°- Perspektive gehört auch ein Blick auf mögliche Gründe und Lösungen für diesen Konflikt. In unseren Gesprächen sind bestimmte Themen immer wieder aufgetaucht.
Aus den Aussagen der Linksaktivist:innen wird deutlich, dass die Uniform der Polizei als Machtsymbol wahrgenommen wird und provozieren kann. Lea kann sich vorstellen, dass viele Polizist:innen ihre Berufswahl aus dem Bedürfnis heraus treffen, um etwas zu bewirken und Menschen zu helfen. Durch das Tragen einer Uniform werde jedoch klar Autorität signalisiert, was wiederum die Kommunikation und die Begegnung auf Augenhöhe verhindere.
Laut Prof. Dr. Koller hätten sich die Uniformen immer wieder verändert. Auf Seiten der Behörden würde laufend analysiert werden, welche Einsatz-Doktrinen, sprich welche Erscheinungsbilder und Massnahmen, am geeignetsten sind. Da die Spannungslage aber immer wieder schwanke, hätte sich trotz jahrzehntelanger Experimente keine ideale Lösung ergeben.
André Weber weiss durch seine Erfahrungen als Leiter des Polizei Dialogteam Bern welche Konsequenzen ein aktives Eingreifen haben kann. Die Schwelle zum Eingriff sei dementsprechend hoch. Es werde immer zuerst der Dialog gesucht. Dabei stelle sich stets auch die Frage der Güterabwägung. Weber nimmt lieber Sachbeschädigungen in Kauf, anstatt Verletzte zu riskieren. Trotzdem könne es zum Einsatz von Gummischrot kommen. In den Medien wird immer öfter die Verhältnismässigkeit des Einsatzes der Mittel diskutiert. Zumal damit unter anderem ja auch schwere Verletzungen der Augen in Kauf genommen werden.
Ein weiteres Gefühl, das aus unseren Gesprächen heraussticht, ist der Eindruck der juristischen Unterlegenheit. Gemäss Moritz sei die Polizei immer am längeren Hebel, wodurch man sich unterdrückt fühle. Aber wer kontrolliert denn die Polizei? Nebst dem rein rechtlichen Vorgehen mit Strafanzeige oder aufsichtsrechtlicher Anzeige, gibt es noch die Möglichkeit einer Bürger:innenbeschwerde. In den meisten Kantonen erfolgt diese über eine polizeiinterne Anlaufstelle. Die Kantonspolizei in Bern beteuert, dass die Stelle unabhängig und unparteiisch sei.
Auseinandersetzungen bei Demonstrationen gehen an keiner Partei spurlos vorbei. Auch für Polizist:innen ist das eine Herausforderung und kann eine Belastung sein. Gemäss Johanna Bundi Ryser, VSPB, gibt es interne psychologische Dienste für Polizist:innen. Das Angebot sei stark ausgebaut worden. Man sei sich des Umstands bewusst, dass es Polizist:innen gibt, die ein Burnout erlitten oder nicht mehr arbeiten konnten.
Nino erzählt, dass es bei ihm im Team eher mit sich selbst ausgemacht wird. Wenn aber doch Hilfe angeboten wird, geschieht das meistens erst nach einem Einsatz.
Trotzdem beobachtet Katarina unter ihren Arbeitskolleg:innen mehr Offenheit im Austausch. Dieser sei notwendig und helfe ihr, extrem belastende Erfahrungen, wie beispielsweise bei Einsätzen aufgrund von Suizidfällen, zu reflektieren und zu verarbeiten.
“Ich habe immer das Gefühl, ich muss allem gerecht werden. Das ist schwierig auszuhalten. Und dann gemeinsam anzuerkennen, dass es auch Situationen gibt, bei denen das unmöglich ist – das ist unglaublich erleichternd.” – Katarina