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Polizist:innen und Linksaktivist:innen -
Ein schwieriges Verhältnis

Ein Beitrag von Leila Braun, Selma Knecht, Jannis Zbinden und Rahel J. Egger

nazifrei demo
nazifrei demo
nazifrei demo
nazifrei demo
nazifrei demo
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So klingt es als die Fronten an der Demonstration am 21.Oktober 2023 in Basel aufeinandertreffen. Trotz Demonstrationsverbot versammeln sich Anhänger:innen von “Massvoll” und “Freunde der Verfassung” für eine gemeinsame Kundgebung. Gleichzeitig setzt die linke Basler Bewegung “Nazifrei” zur Gegendemonstration an. Die Polizei antwortet mit einem Grossaufgebot. Es kommt zum Einsatz von Tränengas, Gummischrot und Wasserwerfern. Auch ein Militärhelikopterkreist über der Stadt.
Solche Szenen beschäftigen uns als Team. Immer wieder beobachten und spüren wir eine starke Spannung an Demonstrationen vor Ort und in den Medien. Vor allem an Veranstaltungen von Links scheinen aggressive Anti-Polizei-Parolen wie “Tout le monde déteste la police!” («Alle hassen die Polizei!”) zum festen Repertoire zu gehören. Gleichzeitig löst das Erscheinungsbild der Polizei in voller Montur ein beklemmendes Gefühl aus. Da hängt diese Angst in der Luft. Als bräuchte es nur einen kleinen Schritt in die “falsche” Richtung und die Situation eskaliert.

Ist das nur unsere Wahrnehmung? ...

…oder hat die Spannung zwischen Polizist:innen und Linksaktivist:innen in letzter Zeit zugenommen? Auf der Suche nach Antworten haben wir Statistiken und Fakten zusammengetragen, bei offiziellen Instanzen nachgefragt und einen Protestforscher um historische Einordnung gebeten. Vor allem aber haben wir persönliche Gespräche geführt. Sowohl mit Linksaktivist:innen als auch mit Polizist:innen. Damit sie offen und ehrlich erzählen können, bleiben sie in diesem Beitrag anonym.

Wir tun unser Bestes, unsere Recherchen verdaulich für dich aufzubereiten, um dich unterwegs nicht abzuhängen. Trotzdem möchten wir unsere Gesprächspartner:innen ausreden lassen, um dem polarisierenden Thema so gut es geht gerecht zu werden. Egal wie weit du es mit Scrollen schaffst – merci, dass du dir die Zeit für unsere 360°-Perspektive nimmst!

Was sagen die Zahlen?
Was sagen die Zahlen?
basel
zürich
bern
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Mehr unbewilligte Demonstrationen

Zugenommen hat also nur die Anzahl unbewilligter Demonstrationen.
Soweit die Zahlen, aber was sagen die Menschen?

Im Gespräch mit Linksaktivist:innen

Im Rahmen dieses Beitrags haben wir mit verschiedenen Aktivist:innen im linken Spektrum gesprochen. Ihre Namen wurden zu Anonymitäts-Zwecken geändert.

es sprechen
Es sprechen...
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Moritz

24 Jahre

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Lea

27 Jahre

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Sven

25 Jahre

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Max

30 Jahre

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Fragestellung
Würdest du sagen die Spannung zwischen linken Aktivist:innen und der Polizei hat zugenommen, seit du aktivistisch bist?
Moritz
«Ich habe das Gefühl, die Repressionen sind in letzter Zeit stark gestiegen. Es sind viele Gesetze in Kraft getreten, die der Polizei nochmals mehr Macht gegeben haben. Deswegen sind zurzeit alle sehr vorsichtig, weil man ja Angst vor der Polizei haben muss. Aber ich glaube diese Angst vor Repressionen wirkt aufstauend. Ich glaube es passiert jetzt lange nichts und dann braucht es nur etwas, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.»
Moritz, 24 Jahre
Lea
«Ja. Also Jein. Ich würde sagen, es gibt eine Kurve. Während Covid haben die Auseinandersetzungen stark zugenommen, danach war die Stimmung wieder plus-minus dieselbe. Aber allgemein, seit Covid und danach, ist das Demonstrieren wieder grösser geworden. Es gibt viel mehr Internet-Aktivismus, im Vergleich zu früher. Und ich denke, dass der Frust dementsprechend allgemein von beiden Seiten her zunimmt. Auch von der polizeilichen Seite, so im Sinne von: «Oh nein, nicht schon wieder!»
Lea, 27 Jahre
Max
«Ich denke, weil die Auseinandersetzungen in Bern weniger geworden sind, gibt es hier auch grundsätzlich in der letzten Zeit eher weniger persönlichen Hass gegen die Polizei. Schon eine Grund-Abneigung. Klar, in Zürich sieht es anders aus, da letztens jemandem wieder ein Auge ausgeschossen wurde. Die Situation ist ruhiger, wenn schon lange nichts mehr passiert ist!»
Max, 30 Jahre
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Was meinen offizielle Sprecher:innen der Polizei?

es sprechen
Es sprechen...
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Johanna Bundi Ryser

Präsidentin VSPB

Der Verband Schweizerischer Polizei Beamter setzt sich für die beruflichen Interessen der Polizist:innen ein.

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Dieter Schärer

Stellvertretender Chef Regionalpolizei Bern

... ist seit 42 Jahren bei der Polizei

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André Weber

Einsatzleiter Dialogteam Bern (bis Sept. 2023)

Das Dialogteam Bern gibt es seit 2011. Es sucht den Dialog vor Ort mit den Verantwortlichen von Demonstrationen und Kundgebungen.

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Fragestellung
Hat die Spannung zwischen Linksaktivist:innen und der Polizei in Ihrer Wahrnehmung in den letzten Jahren tendenziell zugenommen?
Johanna Bundi Ryser
«Es gibt immer wieder Zeiten, wie zum Beispiel jetzt. Wir haben seit einem Jahr den Krieg in der Ukraine, wir haben eine starke Zuwanderung, plus im Nahen Osten einen weiteren Krieg, der gerade ausgebrochen ist. Ich meine, das macht mit der Bevölkerung etwas, mit jeder und jedem einzelnen macht das etwas. Das kann durchaus sein, dass zeitweise die Gruppierungen oder Leute auf solche Umstände reagieren. Dass jetzt generell die Spannung stärker ist, kann ich, oder wir, so nicht bestätigen.»
Johanna Bundi Ryser, Präsidentin VSPB
André Weber
«Ich würde sagen, das ist stabil, das ist immer wieder so. Es gibt so ein paar Anlässe pro Jahr, die regelmässig stattfinden und dann gab es schon immer brisante Themen, bei denen es je nachdem zu Ausschreitungen kam.»
André Weber, Dialog-Team Bern
Dieter Schärer
«Ich denke, Spannungen gab es immer schon, wenn sie von linken Aktivist:innen sprechen. Grundsätzlich aber denke ich, dass wir allgemein in der Gesellschaft eine Zunahme von Spannungen haben in allen Bereichen. Diese Spannungen übertragen sich dann selbstverständlich auch auf uns. Man stellt ja auch im Allgemeinen die Verhärtung der Fronten fest, sei das jetzt im rechten oder linken Bereich. Von dem her haben die Angriffe gegen Polizist:innen ganz allgemein zugenommen.»
Dieter Schärer, Regionalpolizei Bern
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Die Spannung an Demonstrationen sei generell ein Spiegel der Anspannung der Bevölkerung. Sie lasse sich im Moment vor allem auf die aktuellen Konflikte im Nahen Osten und der Ukraine zurückführen.Trotzdem stellt der stellvertretende Chef der Regionalpolizei Dieter Schärer eine Verhärtung der Fronten fest und meint, die Angriffe gegen Polizist:innen hätten allgemein zugenommen.

Soziale Prozesse im Reagenzglas

Die Einschätzungen fallen unterschiedlich aus. Eigentlich hätten wir uns ja denken können, dass es auf komplexe Zusammenhänge kaum je Schwarz-Weiss-Antworten gibt.

Dass die Spannungslage schwankt, je nachdem, was die Gesellschaft gerade beschäftigt, wird hingegen von allen angesprochen. Menschen tragen ihre politischen Anliegen auf die Strasse und fordern Veränderung. Demonstrationen können sozusagen als eine Art Konzentration sozialer Prozesse im Reagenzglas betrachtet werden.

Um mit unserer Frage dem 360°- Ansatz gerecht zu werden, müssen wir die Lage im grösseren Kontext betrachten. Gemeinsam mit Herr Prof. Dr. Christian Koller, Protestforscher und Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs, werfen wir einen Blick in die Geschichte des Demonstrierens in der Schweiz.

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Prof. Dr. Christian Koller

Historiker, Protestforscher, Direktor Schweizerisches Sozialarchiv

"Fünf Jahre sind nichts"

Koller
«Für einen Historiker sind fünf Jahre nichts. Wir denken in längeren zeitlichen Abständen. Hier ist es schwierig zu sagen. Es gibt immer wieder Phasen, in der die Spannung zunimmt und dann Phasen, wo sie abnimmt oder eine Zeit lang vielleicht weniger passiert.»
Professor Dr. Koller

Vom 1. Weltkrieg über den Globus-Krawall bis zu Fridays for Future

Zur Untermalung seiner Aussage hat er für uns die historische Protestentwicklung in der Schweiz zusammengefasst. Wir haben sie für dich als Zeitstrahl im Foto-Slider veranschaulicht:

"Für mich ist das Wort Polizei mit Repression und Abfuck verbunden"

Der Konflikt zwischen den Institutionen und ihren Kritiker:innen scheint Tradition.
Man provoziert, schaukelt sich gegenseitig auf. Wirklich herzlich war diese Beziehung also noch nie.

Wir haben uns gefragt, welche Gefühle und Gedanken Linksaktivist:innen heute mit der Polizei in Verbindung bringen.

Fragestellung
Woran denkst du beim Wort Polizei?
Moritz
«Hmm – das ist schwierig. Auf eine Art sehe ich, dass sie die Spielregeln unserer Demokratie durchsetzen und schützen. Aber trotzdem ist es für mich ziemlich negativ geprägt, weil ich mich als ziemlich kritisch gegenüber dem System, unseren Gesetzen und unserer Gesellschaft sehe. Darum ist die Polizei für mich immer eher ein Übel als eine Hilfe. Logisch, wir leben in einem demokratischen Staat und sie müssen den irgendwie schützen. Aber in Bezug auf die Probleme, mit denen die Welt derzeit konfrontiert ist, sind sie ein Hindernis. Für mich ist das Wort «Polizei» oftmals mit Repression und Abfuck verbunden.»
Moritz, 24 Jahre
Lea
«Ehm, ja – das macht mich eher hässig. Weil ich es mit Gewalt verbinde und leider auch nicht wirklich als eine grosse Hilfe sehe.»
Lea, 27 Jahre
Sven
«Ehrlich gesagt, teilweise auch etwas Angst. Selbst wenn ich nichts gemacht habe. Wenn ich einfach nur in der Stadt bin und neben "Bullen" vorbeilaufe, spanne ich mich an. Ich habe so viele schlechte Erfahrungen mit Polizist:innen gemacht, gesehen und mitbekommen, dass für mich einfach klar ist: Man kann ihnen nicht vertrauen und sie nutzen ihre Macht aus.»
Sven, 25 Jahre
Max
«Hey mittlerweile, das kann auch eine Altersmilde sein, sehe ich es nicht mehr so schwarz-weiss wie ich es anfangs meiner 20er gesehen habe. Damals habe ich die Polizei für so ziemlich alles Schlechte verantwortlich gemacht. Heutzutage sehe ich es mehr so, dass Polizist:innen auch nur einen Job ausführen, für den sie sich entschieden haben. Den sollte man sicher auch kritisieren dürfen, es ist auch kein guter Job, das will ich nicht anders sagen…Aber bei den politischen Interessen, die ich verfolge, geht es für mich nicht in erster Linie um die Polizei. Sie spielen lediglich eine Figur im ganzen Spiel.»
Max, 30 Jahre
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Es scheint nachvollziehbar, dass die Polizei als ausführendes Organ des Staates von systemkritischen Menschen nicht zwingend positiv wahrgenommen wird. Aber trennen sie die Privatperson von der Institution? 

Fragestellung
Welches Bild hast du von den Menschen unter der Uniform? Trennst du die Person von der Institution?
Moritz
«Wenn du zum Beispiel als Polizist:in den Befehl erhältst, eine Person auszuschaffen. Klar ist dahinter auch eine Privatperson, die viel Liebe geben kann. Also eine Mutter zum Beispiel, die mit ihren Kindern spielt. Aber ich finde es trotzdem problematisch, wenn eine Person solche Befehle und Tätigkeiten der eigenen Institution einfach hinnimmt. Also einfach sagt «Ja, das ist halt unser Gesetz.» und diese Befehle dann auch ausführt. So wie diese Institution jetzt funktioniert, entscheidet man sich dafür oder dagegen. Da gibt es für mich kein vertretbares Dazwischen. Auch wenn es etwas mit dir als Person macht, solange du dich dann nicht gegen die Ausführung dieses Berufes und dieser Befehle entscheidest, bist du für mich als Mensch unten durch.»
Moritz, 24 Jahre
Lea
«Hmm. Nicht wirklich. Ich hatte schon zahlreiche Diskussionen mit Menschen. So im Sinne von: Es sind auch nur Menschen und sie machen ja nur ihren Job. Aber für mich ist der Job auch eine Entscheidung, die man trifft. Es ist auch ein langer Prozess, überhaupt bei der Polizei arbeiten zu dürfen, und das macht es zu einer Entscheidung. Da kann ich es dann nicht so gut trennen.»
Lea
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"So wie diese Institution jetzt funktioniert, entscheidet man sich dafür oder dagegen."

Das sind klare Statements.

Aber was lösen diese harten Aussagen bei Polizist:innen aus?
Damit die Menschen unter den Uniformen in diesem Beitrag nicht nur im offiziellen Ton zu Wort kommen, haben wir mit zwei Polizist:innen im privaten Rahmen gesprochen. Auch sie bleiben anonym.

es sprechen
Es sprechen...
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Katarina

36 Jahre

…ist seit 16 Jahren Polizistin. Für lange Zeit war sie neben ihrem Beruf in der linken Szene aktiv und ist mit diversen Bands an Veranstaltungen aufgetreten. Bis irgendwann zunehmend mehr Stimmen laut wurden, die Mühe hatten mit der Anwesenheit einer Polizistin. In einem Artikel eines links-politischen Online-Magazins wurden ihre Adressdaten veröffentlicht und aktiv dazu aufgerufen, ihr die eigene Meinung mitzuteilen. Daraufhin wurden immer mehr ihrer Konzerte abgesagt und sie erhielt anonyme Drohungen.

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Nino

25 Jahre

...Nino ist Polizei-Aspirant. Er hat vor kurzem die Polizeischule in Hitzkirch abgeschlossen. Die wichtigste Eigenschaft eines Polizisten ist für ihn der Wille zu helfen, wenn jemand in Not ist.

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"Da sehe ich immer das Bild einer Guillotine"

Überleitung
Wir haben ihnen die Aussagen von Moritz und Lea gezeigt und sie gefragt, was sie gerne antworten würden.
Katarina
«Dass ich die freiwillige Entscheidung getroffen habe, Macht über andere Menschen auszuüben, habe ich schon einige Male gehört, Da sehe ich immer das Bild einer Guillotine. Ich habe wie keine Chance dann. Ich bin gar nicht mehr eines Menschen würdig. Und so diese Kluft zu spüren und das «Nicht-Andocken-Können». Schon fast eine Art Hass.»
Katarina
Nino
«Ich nehme diverse Vorurteile war. Eines hiervon ist zum Beispiel, dass alle nur rechts sind und alle einfach der linken Seite völlig den Rücken zuwenden und ihre Anliegen verabscheuen. Was nicht der Fall ist. Selbst in unserem Korps gibt es diverse Leute mit diversen Gesinnungen. Man kann uns nicht in einen Topf werfen, wie das meist dargestellt wird.»
Nino
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Überleitung
Im persönlichen Gespräch erzählt Katarina vom eigenen Zwiespalt in der Ausführung von würden.
Katarina
«Einerseits verstehe ich diese Aussage mega gut. Es ist so ein wenig das «Alles oder gar Nichts». Für mich ist das auch ein wenig das Schwarz-Weiss. Klar sind wir als Polizei auch Teil des ganzen System-Apparates, aber der beginnt ja ganz woanders und geht auch noch viel weiter. Für mich stimmt da auch etwas nicht im System. Die Polizei ist der Puffer und alles andere passiert ja woanders. Aber die Polizei ist im Fokus. Dabei, die Entscheidung – die treffen nicht wir. Die trifft beispielsweise das Migrationsamt.»
Katarina
Überleitung
Für sie bleibt die Frage, was passieren würde, wenn niemand mehr diese Rolle übernehmen würde:
Katarina2
«Was ich auch schon oft gehört habe, ist die Aussage «Ja, wenn diesen Beruf niemand mehr machen würde. Wenn niemand mehr das Männchen spielen würde.» Da fände ich es interessant zu schauen, was dann passiert. Weil auf eine Art steht die Polizei zwischen ganz extremen Meinungen. Da kommen so viele krasse Stimmen aus der Bevölkerung, die mich selbst auch manchmal erschrecken. Klar führt die Polizei Befehle aus, ist dabei aber gleichzeitig kontrolliert. Dort frage ich mich dann, was, wenn es die Polizei nicht gäbe? Wenn sich Menschen mit extremen Haltungen dann auf einmal zusammenschliessen würden, käme eine ganz andere Gewalt. Und genau das ist der Knopf, den ich in meinem Gehirn habe. Wie funktioniert eine Gesellschaft, bei der es das eben nicht braucht?»
Katarina
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Manche Befehle lösen einen inneren Konflikt bei Katarina aus. Wieso hält sie dann trotzdem an ihrem Beruf fest?

An dieser Stelle betont sie, dass ihre Hauptaufgabe als Polizistin vor allem in der Betreuung und Vermittlung von Konflikten liegt. Katarina und Nino haben Mühe mit dem Bild der Person im Dienst, die nur auf Gewalt und Kontrolle aus ist.

Nino
«Ein weiteres Vorurteil sehe ich in der Gewaltbereitschaft von Polizist:innen. Es wird sehr viel verbreitet, dass viele Polizist:innen im Dienst sind, die nur auf Gewalt aus sind. Die diesen Job nur machen, weil man dabei Gewalt ausüben kann. Meiner Meinung nach ist die Sprache, eine der grössten Waffen, die wir haben und die wir einsetzen können und dürfen.»
Nino
Katarina
«Ganz viele Sachen kacken die Polizei eigentlich mega an. Und da gehst du jetzt nicht selbst noch voll rein. Ich weiss nicht, ob da diese Wahrnehmung von Aussen da ist: «Ah wir suchen danach und gehen extra noch Kontrolle machen, in der Hoffnung, dass jemand illegal hier ist.» Also das hätte ich noch nie erlebt. Das ist ein 0,0 irgendetwas Prozentsatz, dass das von meinem Berufsleben ausmacht. Und das habe ich in all diesen Jahren auch gemerkt, dass es auch genau das ist. Das Zeitnehmen und Zuhören in Konfliktsituationen. Das ist eigentlich das Hauptding von unserem Job, sage ich mal. Das ist unser Alltag.»
Katarina
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“Die Polizei als Freund:in und Helfer:in?”

Wir kommen wieder weg von subjektiven Einschätzungen und werfen einen Blick auf nationale Umfragen des Bundesamtes für Statistik.
Was sagen die Zahlen?
Vertrauen Schweizer:innen der Polizei?
vertrauen in polizei
vertrauen nach altersgruppen
vertrauen in institutionen
Was sagen die Zahlen?
Zusammengefasst...

Das Vertrauen der Bevölkerung in Polizist:innen wurde seit 2013 immer grösser. Am geringsten ist es bei jungen Menschen (16 - 24 J.). 2020 wird der Polizei von allen Institutionen noch am meisten Vertrauen geschenkt.

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Städte als Hotspots, Mitläufer:innen und Fake-News

Johanna Bundi Ryser vom VSPB sieht darin eine Bestätigung der Qualität der Polizeiausbildung und Rekrutierung. Man lege Wert auf Weiterbildungen und hohe Sozialkompetenzen.

«Ich sage immer ganz nach dem Motto: Die Polizei, dein:e Freund:in und Helfer:in oder auch gemeinsam für Ruhe und Ordnung zum Wohl aller. Für mich hat das nach wie vor Gültigkeit.» 

Sie vermutet, dass Polizist:innen vor allem in urbanen Gebieten Abneigung oder Gewaltbereitschaft begegnen. In Städten käme es öfter als auf dem Land zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch Demonstrationen und Kundgebungen würden vor allem in den Städten stattfinden.

Die Gründe seien facettenreich. Die Polizei setze die Gesetze des Staates durch und sei somit an vorderster Front. Die Abneigung komme von Personen, die mit polizeilichen Massnahmen oder Wegweisungen nicht zufrieden seien. Personen würden ihre Meinung äussern wollen und das vielleicht auf eine gewalttätige Art, durch Krawall oder Sachbeschädigungen. Ausserdem gäbe es oft Mitläufer, die sich gar nicht für das politische Anliegen von Demonstration interessieren, sondern diese lediglich als Möglichkeit nutzen würden, um Radau zu machen.

Seit der Pandemie beobachte man eine stärkere Nutzung der sozialen Medien. Personen mit einer Anti-Polizei-Haltung würden eine grössere Reichweite unter Gleichgesinnten erzielen. Der VSPB stelle fest, dass Fake News sich intensiver und schneller verbreiten würden.

"Wir sind ein Feindbild"

André Weber vom Dialog Team Bern glaubt ebenfalls, dass eine Mehrheit der Bevölkerung froh sei, über die Arbeit der Polizei. Es gäbe immer einen kleinen Teil, der kein Fan der Polizei werde. Sei es aufgrund eines Erlebnisses, einer Begegnung oder aufgrund der Erzählungen anderer. Auch er erzählt von Mitläufern.

«Ich glaube, es gibt sehr viele Mitläufer:innen, die noch nie mit der Polizei in Kontakt kamen und trotzdem sind wir irgendwie ein Feindbild für sie. Das finde ich extrem schade.» 

Er beobachtet Abneigung in erster Linie bei jüngeren Personen. Sie hätten selbst noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt, würden aber sagen, denken und zeigen, was sie von der Polizei halten. Das sei erschreckend. Der Respekt fehle oft und habe allgemein stark abgenommen.
«So viel Respekt, wie wir ihnen geben, sollen sie auch uns entgegenbringen. Dann hätten wir eigentlich keine Probleme.»

Persönlich findet er es schade, wenn Leute an Demonstrationen für etwas einstehen wollen, aber das eigentliche Thema von Sachbeschädigungen und Ausschreitungen überschattet wird.

Der stellvertretende Chef der Regionalpolizei Dieter Schärer spürt die Auswirkungen gesetzlicher und politischer Änderungen. Er könne eine eventuelle Ablehnung verstehen, da die Polizei den Staat verkörpere. Dabei betont er:

«Es ist wichtig zu sagen, dass die Polizei weder die Gesetze noch die politischen Richtungen macht. Die Polizei ist politisch neutral und wir führen aus, was die Gesellschaft vorgibt, die wiederum die Politik wählt.»
«Wir handeln im Rahmen der gesetzlichen Grundlage und was auch viel vergessen wird: Auch ein:e Polizist:in ist ein Mensch, mit Gefühlen, Ängsten und allem was dazu gehört.»

Chaos

Um uns nicht nur vom Schreibtisch aus mit der Welt zu befassen, haben wir uns unter die Menge der Demonstration in Basel vom 21.Oktober 2023 gemischt. Dabei sind die Bilder und O-Töne des Einstiegs entstanden.

Auch als unbeteiligte Journalist:innen sind wir ganz schön ins Schwitzen gekommen. Die Polizei war vorbereitet. Blockaden in der ganzen Stadt stellten ein grosses Hindernis dar. Den einzigen Zugang zum Geschehen bot eine kleine Fähre über den Rhein. Endlich angekommen, war das Chaos schon voll im Gange. Um uns herum lautstarke Parolen, gezündete Pyros und vermummte Gesichter. Polizist:innen mit Helmen und Sicherheitswesten, Wasserwerfern, Gummischrot und Tränengas. Es wurde gerannt, gekesselt und geschossen. Stehenbleiben in der Masse? Keine Chance!

Von aussen war nicht erkennbar, dass wir Presseleute sind. So blieb uns nichts anderes übrig, als mit dem Rest vor den Einsatzkräften wegzurennen. Es fällt schwer, inmitten all der Hektik nicht in Panik zu geraten. Wenn wir ganz ehrlich sind, hatten auch wir zeitweise Angst vor den Polizist:innen und auch vor den Demonstrant:innen. Doch das aktive Suchen des Dialogs mit Demonstrierenden und Polizist:innen veränderte die Haltung uns gegenüber auf beiden Seiten. Mit der Erklärung, dass wir versuchen, die Menschen innerhalb der Massen zu verstehen, wurden wir auf einmal sehr freundlich behandelt. Fehlt also vielleicht genau das in solchen Konfliktsituationen? Sich für die Menschen und ihre individuellen Perspektiven zu interessieren, losgelöst von ihrer Rolle oder dem Bild der Gruppe?

“Robo-Cops überall”

Fragestellung
Welche Gedanken und Gefühle durchleben Linksaktivist:innen an Kundgebungen?
Welche konkreten Erlebnisse haben sie geprägt?
Moritz
«Ich habe Angst, von den Bullen verletzt zu werden, weil du an einer Demo ja gar nichts steuern kannst. Beispielsweise mit dem Ausschiessen von Augen, das kann dir alles passieren. Da stehen Robo-Cops überall und sie sind bereit, möglichst schnell einzugreifen und zu kesseln. Sie bringen diesen Vibe rein mit aggressivem Auftreten, mit Schildern hinstehen, aus dem Auto springen, Gummischrotgewehre zücken – das ist Teil der Strategie. Sobald sich die Demo entfaltet, wirst du einfach klein gemacht. Mit ihrem Auftreten wird dir möglichst vermittelt, du sollst keinen Schritt weitermachen, ansonsten drohen die härtesten Repressionen oder auch körperliche Schäden. So kannst du die Masse in die Enge treiben und die wissen das ganz genau. Und wenn du dann Verletzte in Kauf nimmst, die eigentlich für etwas voll und ganz Legitimes auf die Strasse gehen – ja, da bin ich einfach hässig. Ohne wenn und aber, das macht mich einfach verdammt hässig!»
Moritz, 24 Jahre
Lea
«Es war am 8. März 2021, in Covid-Zeiten. Es war natürlich nicht bewilligt. Aber der Frauenstreik findet jedes Jahr statt und löst normalerweise auch kaum so viele Repressionen aus wie in diesem einen Jahr. Die Polizei war in voller Montur. Die Spannung war sofort da, als man gesehen hat, wie sie mit ihren Wasserwerfern kommen. Es waren damals auch Kinder im Kinderwagen dabei. Die Polizei hatte bereits auf Personen gezielt, zwar ohne zu schiessen, aber es war offensichtlich. Es war klar, egal was passiert, sie werden sicher sehr aggressiv eingreifen. Sie standen da, als wären sie super bereit loszuschiessen und es ging dann auch nur noch ein paar Sekunden, bis es losging. Es war krass, was da passiert ist. Menschen wurde der Arm gebrochen, gewisse hatten das ganze Gesicht offen und es wurde aus viel zu kurzer Distanz mit Gummischrot auf Personen geschossen.»
Lea, 27 Jahre
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Für Lea und Moritz sind es Erlebnisse wie diese, die ihre Haltung zur Polizei nachhaltig geprägt haben.

Die Polizistin Katarina hat Verständnis, dass die geschilderten Erfahrungen einschneiden und tief gehen. Trotzdem fällt es ihr schwer, sich vorzustellen, dass Polizist:innen grundlos so repressive Massnahmen ergreifen würden. Schlussendlich bestehe ihre Aufgabe bei einer Demonstration ja darin, neben Gebäuden und Infrastruktur auch die Menschen vor Schäden zu schützen. Die Entscheidung zum Eingriff werde nicht leichtfertig getroffen. Sie glaubt ebenfalls, dass es häufig nur eine kleine Gruppe von Demonstrant:innen sei, deren Auftreten den Entscheid zur Auflösung provoziere.

Katarina
«Die meisten, die mitlaufen, wollen ja überhaupt nichts kaputt machen. Und da finde ich, ist es auch die Verantwortung von denen, die das wollen. Die haben eine Verantwortung, über all die anderen, die auch da sind. Da merke ich schon ein bisschen Wut auf ihr Verhalten, weil sie ja eigentlich auch wissen, wie die Polizei reagiert..»
Katarina

“Es gibt immer wieder ein bis zwei Idiot:innen”

Überleitung
Lea findet für gewaltbereite Demonstrant:innen ganz klare Worte:
Lea
«Es gibt immer wieder ein bis zwei Idiot:innen. Auch ich halte sie für Idiot:innen. Personen, die grundlos auf Polizist:innen losgehen, einfach weil sie irgendwo so viel Hass in sich tragen. Der kann für mich auch verständlich sein, wenn sie viel Scheisse mit der Polizei erlebt haben. Aber Gewalt ist auf beiden Seiten absolut inakzeptabel.»
Lea, 27 Jahre
Überleitung2
Moritz glaubt, dass die vereinzelten gewaltsuchenden Demonstrant:innen dies in erster Linie aus Frust tun.
Moritz
«Ja, ich glaube schon, dass viele einfach fertig mit dem System sind und sich deshalb Frust aufstaut, denn sie rauslassen wollen. Aber ich glaube, die meisten Menschen, die an solchen Demos teilnehmen, sind eigentlich sehr sozial. Sogar der Schwarze Block, der teilweise auch mega martialisch daherkommt. Das sind meistens die liebsten Leute im Privatleben.»
Moritz, 24 Jahre
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Der Schwarze Block

Moritz erwähnt den  “Schwarzen Block”. Der Begriff fällt immer wieder, auch in den Medien. Meist wird er dabei mit Radikalität in Verbindung gebracht.

Simon Teune, Soziologe und Protestforscher, erklärt gegenüber der Zeitung «Der Bund»

«Der Schwarze Block ist keine Gruppe, sondern eine Protest-Taktik in Demonstrationen. Viele Demonstrationen sind in Blöcken organisiert, in denen man nach Zugehörigkeit mitläuft. Der Schwarze Block stellt sich selbst auf. Dort finden sich Kleingruppen zusammen, die autonome oder anarchistische Prinzipien teilen. Dieses Spektrum mobilisiert seine Leute zu einer Demonstration und die finden sich dann vor Ort. Es gibt im Schwarzen Block viele Kleingruppen, die für sich entscheiden, wie sie in einer Situation vorgehen. Da gibt es solche, die offensiv die Auseinandersetzung mit der Polizei suchen. Aber es gibt auch post-autonome Strömungen, die einen anderen Ansatz haben. Sie stehen dafür, dass von ihnen keine Eskalation ausgeht und die Polizei nicht ihr Gegner ist.»
Lea hat schon viele Kundgebungen mitorganisiert. Sie erzählt, dass die linke Szene in Bezug auf Gewalt und Sachbeschädigung generell gespalten sei. Für die Veranstalter:innen sei es deshalb schwierig, das Verhalten aller Teilnehmenden zu kontrollieren.
Lea
«Mit Sachbeschädigungen haben die Menschen, die Demonstrationen seit langem planen, meistens absolut gar nichts zu tun. Es gibt harmlose Pläne, wie abbaubare Farbe in Brunnen zu verteilen oder Banner an einer Bank aufzuhängen. Aber grössere Sprayereien oder Fenster-kaputt-machen, das kommt in einer Demonstrations-Besprechung nie zu Wort. Das sind dann einzelne Menschen, die sich vielleicht auch mit anderen gruppiert haben.»
Lea, 27 Jahre

“Ich verstehe nicht, wieso man hier jetzt nett fragen muss.”

Überleitung
Auch beim Einholen von Bewilligungen gehen die Meinungen auseinander:
Moritz
«Für mich ist eine Demonstration nicht an eine Bewilligung geknüpft. Ich verstehe die Sache mit den bewilligten und unbewilligten Demos bis heute nicht. Eine Demonstration entsteht aus einem Unmut, innerhalb dessen sich Menschen für einen Moment zusammenschliessen. Und ich verstehe nicht, wieso man dann hier jetzt nett fragen muss.»
Moritz, 24 Jahre
Lea
«Ich weiss, dass es viele Leute gibt, die sich keine Bewilligung einholen wollen. Ich persönlich finde es aber wichtig, da wir doch auch viele Migrant:innen mit unsicherem Aufenthaltsstatus haben, die gerne mitlaufen möchten und die vielleicht nicht das Privileg besitzen, in Repression zu geraten. Gleichzeitig sollten die Wege für Menschen im Rollstuhl zugänglich sein. Mit einer Bewilligung kann die Route dementsprechend gewählt und gesichert werden.»
Lea, 27 Jahre
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Was heisst “Links” überhaupt?

Überleitung
Wir merken, dass Linksaktivismus sehr vielschichtig ist. Auch Prof. Dr. Koller weist uns darauf hin, dass man im Diskurs aufpassen muss:
Koller
«Was heisst «Links» überhaupt? Ist es einfach eine Aktionsform, wo das Label «Links» draufsteht, wo es viele verschiedene Mitläufer:innen gibt? Oder ist es wirklich links, im Sinne von, Leute, die ein gefestigtes Selbstbild haben?»
Professor Dr. Koller
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“Man versteht sich als Revolutionär:in”

Überleitung
Das radikalere Auftreten einzelner Gruppen und ihr Selbstverständnis beschreibt Prof. Dr. Koller so...
Koller
«Man organisiert keine unbewilligte Demonstration, weil man keine Bewilligung bekommt. Sondern man holt quasi absichtlich keine ein, weil man eigentlich plant, dass es zu Auseinandersetzungen kommen soll. Weil sonst ist man vielleicht ein kleines Grüppchen, innerhalb einer grossen Demo, das niemand sieht. Man wird erst wahrgenommen, wenn es «klöpft». Man versteht sich als Revolutionär:in, irgendwie. Und es ist natürlich im Wesen von Revolutionär:innen, dass man nicht einfach brav durch die Strassen marschiert und nachher wieder heimgeht. Sondern man versucht irgendwie, das Barrikadenkampf-Feeling aufzubauen. Was ja auch zum Teil attraktiv sein kann, für Leute, die sich dem anschliessen. Selbst, wenn sie politisch nicht so eine gefestigte Meinung haben, aber es ist irgendwie einfach ein Happening.»
Professor Dr. Koller
Überleitung2
Prof Dr. Koller erkennt in dieser Haltung einen Widerspruch:
Koller
«Sie berufen sich ja immer auf das Recht auf Versammlung und das ist vom Staat verbürgt. Wenn man sich also ganz ausserhalb vom Staat hinstellt und den gar nicht anerkennt, so wie die Reichsbürger in Deutschland oder inzwischen auch in der Schweiz. Dann ist das eigentlich inkonsequent, denn man beruft sich ja auf das Grundrecht, welches genau vom Staat garantiert wird.»
Professor Dr. Koller
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“Im Voraus planen und zusammen reden”

Überleitung
Dieter Schärer von der Regionalpolizei Bern kennt diese Einstellung…
Schärer
«Es gibt immer wieder Kreise, die sagen, fürs Demonstrieren brauche ich keine Bewilligung. Es ist ein Grundrecht, das ich habe. Das Recht auf Versammlungsfreiheit ist auch der Polizei und mir persönlich sehr wichtig, aber wenn wir eine Bewilligung haben, dann können wir die wichtigen Absprachen und den Dialog bereits vorher machen. Dann wissen wir, wohin der Umzug zieht, was es auch den öffentlichen Verkehrsbetrieben um ein Vielfaches leichter macht. Wenn man aber nicht zusammen redet, dann weiss niemand, wo es durchgeht und was zu erwarten ist. Und das kann nachher auch starke Emotionen schüren.»
Dieter Schärer, Regionalpolizei Bern
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Spannungsgründe und Handlungsbedarf

Zu unserer 360°- Perspektive gehört auch ein Blick auf mögliche Gründe und Lösungen für diesen Konflikt. In unseren Gesprächen sind bestimmte Themen immer wieder aufgetaucht.

Die Uniform als Machtsymbol?

Aus den Aussagen der Linksaktivist:innen wird deutlich, dass die Uniform der Polizei als Machtsymbol wahrgenommen wird und provozieren kann. Lea kann sich vorstellen, dass viele Polizist:innen ihre Berufswahl aus dem Bedürfnis heraus treffen, um etwas zu bewirken und Menschen zu helfen. Durch das Tragen einer Uniform werde jedoch klar Autorität signalisiert, was wiederum die Kommunikation und die Begegnung auf Augenhöhe verhindere.

Laut Prof. Dr. Koller hätten sich die Uniformen immer wieder verändert. Auf Seiten der Behörden würde laufend analysiert werden, welche Einsatz-Doktrinen, sprich welche Erscheinungsbilder und Massnahmen, am geeignetsten sind. Da die Spannungslage aber immer wieder schwanke, hätte sich trotz jahrzehntelanger Experimente keine ideale Lösung ergeben.

Eingreifen der Polizei

André Weber weiss durch seine Erfahrungen als Leiter des Polizei Dialogteam Bern welche Konsequenzen ein aktives Eingreifen haben kann. Die Schwelle zum Eingriff sei dementsprechend hoch. Es werde immer zuerst der Dialog gesucht. Dabei stelle sich stets auch die Frage der Güterabwägung. Weber nimmt lieber Sachbeschädigungen in Kauf, anstatt Verletzte zu riskieren. Trotzdem könne es zum Einsatz von Gummischrot kommen. In den Medien wird immer öfter die Verhältnismässigkeit des Einsatzes der Mittel diskutiert. Zumal damit unter anderem ja auch schwere Verletzungen der Augen in Kauf genommen werden.

„Sie sind einfach immer am längeren Hebel“

Ein weiteres Gefühl, das aus unseren Gesprächen heraussticht, ist der Eindruck der juristischen Unterlegenheit. Gemäss Moritz sei die Polizei immer am längeren Hebel, wodurch man sich unterdrückt fühle. Aber wer kontrolliert denn die Polizei? Nebst dem rein rechtlichen Vorgehen mit Strafanzeige oder aufsichtsrechtlicher Anzeige, gibt es noch die Möglichkeit einer Bürger:innenbeschwerde. In den meisten Kantonen erfolgt diese über eine polizeiinterne Anlaufstelle. Die Kantonspolizei in Bern beteuert, dass die Stelle unabhängig und unparteiisch sei.

Burnout ist ein Problem

Auseinandersetzungen bei Demonstrationen gehen an keiner Partei spurlos vorbei. Auch für Polizist:innen ist das eine Herausforderung und kann eine Belastung sein. Gemäss Johanna Bundi Ryser, VSPB, gibt es interne psychologische Dienste für Polizist:innen. Das Angebot sei stark ausgebaut worden. Man sei sich des Umstands bewusst, dass es Polizist:innen gibt, die ein Burnout erlitten oder nicht mehr arbeiten konnten.

“Ich habe immer das Gefühl, ich muss allem gerecht werden.”

Gemäss Katarina werden durch die Arbeitgeber:innen auch Debriefings organisiert. Man könne sich jederzeit und aus jedem Grund anonym und während der Arbeitszeit Hilfe holen. Trotzdem koste dies für einige Überwindung, denn es gibt oft noch immer die Einstellung:
«Ah, als Polizist:in musst du das einfach können. Damit musst du klarkommen.»

Nino erzählt, dass es bei ihm im Team eher mit sich selbst ausgemacht wird. Wenn aber doch Hilfe angeboten wird, geschieht das meistens erst nach einem Einsatz.

Trotzdem beobachtet Katarina unter ihren Arbeitskolleg:innen mehr Offenheit im Austausch. Dieser sei notwendig und helfe ihr, extrem belastende Erfahrungen, wie beispielsweise bei Einsätzen aufgrund von Suizidfällen, zu reflektieren und zu verarbeiten.

“Ich habe immer das Gefühl, ich muss allem gerecht werden. Das ist schwierig auszuhalten. Und dann gemeinsam anzuerkennen, dass es auch Situationen gibt, bei denen das unmöglich ist – das ist unglaublich erleichternd.” – Katarina

"Ich möchte wissen, wie es ist, du zu sein."

Unsere Recherchen haben bestätigt, wie komplex und gar nicht einfach die Dynamik zwischen Polizist:innen und Linksaktivist:innen ist. Neu war uns, dass dieser Konflikt möglicherweise ein zwangsläufiger ist – einer zwischen Struktur und Institution einerseits und dem Willen nach Veränderung und der Kritik am Staat andererseits. Umso wichtiger sind die Versuche, beide Perspektiven und Weltsichten trotz starker Emotionen neutral anzuschauen und sie als Individuen, als Menschen zu verstehen. Wir hoffen sehr, dass uns dies gelungen ist. Das Schlusswort möchten wir unseren Gesprächspartner:innen überlassen.
Fragestellung
Welche Botschaft würdest du gerne an Polizist:innen oder Linksaktivist:innen richten?
Moritz
«Ich stehe für solidarische Anliegen ein, die aus meiner Sicht für alle Menschen sinnvoll sind. Und ich verstehe nicht, wieso sie dann da so durchgreifen, obwohl man in diesem Moment ja für soziale Gerechtigkeit kämpft. Aber das ist schwierig, das prallt vermutlich ab in dem Moment. Da haben sie vielleicht ja auch eine andere Meinung. Aber zum Beispiel in Bezug auf Feminismus und Co. , das wäre ja für uns alle gut. Dort müssen sie jeweils ja auch einschreiten, beispielsweise wegen eines Anrufs aufgrund häuslicher Gewalt. Das ist für mich Feminismus. Also wenn wir Gleichberechtigung als Gesellschaft hinbringen würden, dann würden solche Sachen wie häusliche Gewalt auch nicht mehr passieren. Und da müssten sie auch nicht mehr einschreiten. Darum verstehe ich nicht, wieso sie an einer feministischen Demo dann total reingehen. Es macht für mich keinen Sinn, dass sie gegen häusliche Gewalt einschreiten, aber an feministischen Streiks Menschen auf den Boden drücken. Da sollte man doch mehr über den Zusammenhang nachdenken?»
Moritz, 24 Jahre
Lea
«Mit Sachbeschädigungen haben die Menschen, die Demonstrationen seit langem planen, meistens absolut gar nichts zu tun. Es gibt harmlose Pläne, wie abbaubare Farbe in Brunnen zu verteilen oder Banner an einer Bank aufzuhängen. Aber grössere Sprayereien oder Fenster-kaputt-machen, das kommt in einer Demonstrations-Besprechung nie zu Wort. Das sind dann einzelne Menschen, die sich vielleicht auch mit anderen gruppiert haben.»
Lea, 27 Jahre
Katarina
«Es ist für mich irgendwie so... Es sind wie Attacken, die kommen. Ich denke, mehr gegen mich als Polizistin, die diesen Beruf ausübt. Und trotzdem geht es dann auch gegen mich als Mensch. Und es ist immer so wie ... Es fühlt sich an wie ein Geist. Ich drehe mich um, und es ist niemand da. Und es ist so schwierig, dass niemand da ist, dass kein Gegenüber da ist, dass keine Begegnung stattfindet. Und das heisst ja nicht, dass wenn eine Begegnung stattfindet, dieser Mensch danach gut finden muss, was ich mache. Es geht überhaupt nicht um das. Es wäre vielmehr das: «Hey ich möchte wissen, wie es dir geht, mit all dem oder auch mit mir, die jetzt hier vis-à-vis sitzt?» Ich möchte auch wissen, wie es ist, du zu sein. Und genau gleich wünsche ich mir, dass du die Neugier hast, zu wissen, wer ich bin und wie es ist, ich zu sein. Aber ich verstehe, dass es nicht leicht ist, einfach mal so an einem Tisch zu sitzen: «So jetzt redet mal zusammen! » Es sind ja auch Erfahrungen, die jemand gemacht hat und aus diesem Grund heraus reagiert dieser Mensch so auf mich. Auch wenn ich vielleicht eine Projektionsfläche bin. Das wäre wahrscheinlich auch ein Prozess, der sicher auch ganz viel Bereitschaft und Vertrauen braucht.»
Katarina
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